Gab es zwischen dem Ende von SCHUND und Deiner
Ausreise noch nennenswerte Ereignisse? Doris: Nicht mehr viel! Ich hab
in der Punkkneipe, die wir uns erobert hatten, ganz viel mitgemacht und hab da
auch jeden Abend ausgeschenkt, habe die Bestellungen gemacht und den ganzen Kram
mit der Brauerei abgewickelt! Eines Tages hiess es, wir machen eine grosse Party,
besorg doch mal ein paar Fässer Bier und ein paar Doppler Wein! Wir machen
eine Riesenparty heute, ganz spontan! Dann ist Harry zur Brauerei losgerast,
hat alles eingekauft, wir hatten schon alles vorbereitet, die Punk-Kneipe war
gerade neu renoviert - das war auch der Anlass - Bernie Luther, der jetzt Tätowierer
ist, hat damals die ganze Wand schwarz-rot mit Hexen und ganz kleinen Fledermäusen
superschön angemalt, das war völlig genial! Diese Party sollte nie
stattfinden, weil wir immer ziemlich üblen Ärger mit den Nazis hatten,
also nicht nur mit den Skins, sondern auch mit diesen heftigen Typen! Die haben
ein paar Mal das Haus gestürmt oder haben es versucht! Wir hatten zu diesem
Zweck immer einen Karton mit alten Tisch- und Stuhlbeinen unter der Theke, weil
es wirklich oft Schlägereien gab, auch richtig üble Sachen! Aber wir
haben sie immer in die Flucht geschlagen! Ich weiss nicht wie es entstanden
ist, die Party fing gerade so an und auf einmal standen schon vor dem Haus Leute!
Wir waren halt denen alle ein Dorn im Auge! Irgendwann kamen die Nazis und haben
in unserer Schule alles kaputtgeschlagen, alles was sie kriegen konnten! Dann
wurde es immer brenzliger und wir haben uns ins Haus zurückgezogen! Ein
paar Idioten haben Matratzen angezündet und über die Mauer geworfen,
genau auf die Leute, die sind weggesprungen, aber das hat sie noch hassiger gemacht!
Vor dem Haus war ein Taxistand, die Fahrer waren auch hassig! Wir mussten uns
ins Haus zurückziehen, die werfen gleich alle mit Brand- und Rauchbomben!
Irgendwann ging es nicht mehr und eine Spezialeinheit kam ins Haus rein und hat
uns da rausgeprügelt und in den Knast gesteckt! Haben uns alle möglichen
Sachen vorgeworfen wie Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
Sachbeschädigung, Körperverletzung und all diese Dinge, was nicht stimmte,
jedenfalls nicht bei allen! Die haben uns ziemlich schlecht behandelt und es
stellte sich heraus, dass ein paar Ausländer dabei waren unter anderem auch
ich! Da hiess es, Ihr kommt gleich separat weg, Ihr werdet alle abgeschoben!
Da waren Leute dabei, die haben Ihr ganzes Leben in Österreich gelebt, weil
ein Elternteil österreichisch war, die waren dann aber durch Zufall Franzosen,
Jugoslawen, Amerikaner...da haben sie gleich gesagt: "Ihr kommt weg, Ihr
habt hier nichts verloren in unserem Land!" Dann gab es auch eine Gerichtsverhandlung
und mir wurde dann vorgeworfen, ich wäre eine deutsche Terroristin und hätte
das alles angezettelt, konnte mir aber keiner beweisen! Nach vier Tagen waren
wir wieder raus aus dem Knast und die ganzen GAGA-Leute hatten schon... Die
GAGA wurde also gestürmt und danach geschlossen! Doris: Ja, die wurde
geschlossen und ich glaube, die haben auch diesen Nazis nochmal die Chance gegeben,
erstmal alles kurz und klein zu hauen! Wir waren dann obdachlos, hatten wirklich
nur die Sachen, die wir anhatten, und alles andere war zerstört! Ein paar
Leute haben dann organisiert, dass wir in irgendwelchen WG's wohnen konnten,
bei Leuten, die mit Punk überhaupt nichts zu tun hatten! Das war sehr sozial
und alle Leute waren sehr solidarisch! Irgendwann haben wir einen Brief gekriegt,
sie haben Sachen aus der GAGA rausgeholt und wir können die in irgendsoeinem
Lager abholen! Da waren auch diese Fotos dabei? Doris: Es ist möglich,
denn sonst hätte ich sie ja nicht mehr! Aber ich habe nicht viel von meinen
Sachen wiedergefunden! Dann haben sie gesagt, dass ich noch bleiben könne,
müsse mich aber regelmässig bei der Polizei melden! Das war mir einfach
zu dumm! Irgendwann kam der Beschluss, dass ich für 20 Jahre ausgewiesen
bin und ich fühlte mich in Wien auch nicht mehr so sicher, denn als Punk
fällst Du natürlich auf! Und wenn Du sowieso immer schon kontrolliert
wirst, nee, dafür nochmal in den Knast zu gehen, hatte ich keinen Bock! Du
musstest Dich in regelmässigen Abständen bei der Polizei melden! Doris:
Ja, damit sie immer wussten, wo ich war! Das war reiner Psychoterror, da hatte
ich keinen Bock zu und bin wieder zurück nach Deutschland gegangen! Also
bist Du nicht wie ich dachte, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Polizei
in einen Zug gesetzt worden und über die Grenze, sondern hast Dich selber
in einen Zug gesetzt! Doris: Ja, das wär mir auch zu schrecklich
gewesen, ja jetzt musst Du...! Aber das Urteil besagte: 20 Jahre Österreichverbot! Doris:
Ja! Das war `83 und ab 2003 darf ich wieder einreisen! Trotzdem haben sie
gesagt, Du kannst noch in Wien wohnen? Doris: Das habe ich auch nicht
so ganz verstanden! Da war so ein Typ bei einer Organisation, der hat die ganzen
Punks eingesammelt, ein paar Wohnungen gemietet und mit uns gemeinsam eine Werkstatt
ausgebaut! Dann konnten wir irgendwo wohnen, das wurde auch bezahlt, aber ich
weiss nicht von wem! Wir haben da gearbeitet, Wände gestrichen, der eine
konnte LKW fahren, der hat irgendwo Gerümpel abgeholt, ich weiss gar nicht,
was wir da so genau gemacht haben, vielleicht Türen gestrichen...Es gab
immer wieder Leute, die so ein Projekt aufgerissen haben, wie Christian Schreibmüller,
der hat um die Ecke von der Mariahilfer Str. ganz billig ein altes Fabrikgelände
gekauft, das haben wir z.B. auch mit ausgebaut! Da war eine Werkstatt, die seit
1960 nicht mehr benutzt war - total klasse! Das war früher eine Schuhfabrik
und er hat das an Künstler vermietet und das so ins Laufen gebracht, das
es sich auch finanziert hat! Ich hab da mal 1993 mit meinen Söhnen gewohnt!
Er hatte sich da eine Wohnung eingerichtet und sie uns netterweise zur Verfügung
gestellt! Ich weiss nicht, ob das Haus noch existiert, denn da sollte eine U-Bahn-Station
hin! Aus dem Grund hat er das so billig gekauft! War der Christoph Schreibmüller
aus der Künstlerszene? Doris: Ja, der war eigentlich Fotograf und
hat nebenbei studiert, ständig an einer Dissertation geschrieben! Das war
eigentlich ein ganz normaler Typ, der auch schon eine ganze Ecke älter war
als wir und in der GAGA hatte der auch ein Fotostudio - daher kannten wir ihn!
Da habe ich mir übrigens auch Geld verdient: Ich habe so eine Art Schnellentwicklungsservice
gemacht! Er hat mich angelernt, wie man Negative entwickelt und dann sind die
Leute zu mir gekommen, sogar einmal Kodak, und das ging dann ratzfatz, eine Stunde
später konnten sie die wieder abholen! Der Christoph hat hinterher immer
noch für uns gesorgt, hat uns immer Jobs gegeben, wo wir was machen konnten! Genau
als wir `93 da waren, war das GAGA-Fest - 10 Jahre GAGA weg - es war Wochenende
und unser Schlagzeug Harry Hanomag hat das organisiert! Ich hab es leider zu
spät erfahren, meine Kinder waren auch noch klein, ich hätte da mit
den Babys hingehen müssen! Da haben auch Bands gespielt und die ganzen Leute
von früher haben sich da versammelt! Ich war so sauer, dass ich das verpasst
habe - wenn Du durch Zufall schon mal da bist! Wieviel Punks haben denn
in der GAGA gewohnt? Doris: Das waren zum Schluss eine Menge! Wie ich
schon erzählt habe, gab es da verschiedene Werkstätten! Die Leute,
die das organisiert haben, sind irgendwann weggegangen, das war denen zu öde
oder sie haben einen richtigen Job gekriegt! Die Räume wurden immer mehr
von den Punks eingenommen und kurz vor der Räumung war es glaube ich sogar
so, dass wir die ganzen alten Freaks abgesetzt haben - da gab es einen richtigen
Vorstand, in dem ich glaube ich auch war - im Vorstand sassen dann nur noch jüngere
Punks! Dann kamen auch wieder irgendwelche Rocker und wollten uns wieder die
Hütte abziehen! Ich kann mich noch an riesengrosse Ausschüsse erinnern,
50 Leute sassen im Kreis, haben das ausdiskutiert und werden unter Druck gesetzt
und ich glaube auch, an dem Ding ist das ganze Haus gescheitert! Wir hatten keine
kompetenten Leute mehr, die sich auskennen mit den zuständigen Menschen,
keine Leute mehr, die einen guten Ruf haben! Der Christian war ein ganz normaler,
fast so wie ein Gentleman, wenn der zu `nem Amt geht ist das was anderes, als
wenn ich dahingehe! Den Punkt, Erfahrungen mit rechten Skinheads und Nazis
Anfang der 80er, hatte ich gar nicht auf meinem Zettel! Da gab es ja doch einige
Probleme! Doris: Ja, heftig! Wir sind mit der U-Bahn gefahren, wir steigen
hier aus, da steigen Skins aus und springen über die Gleise und über
die U-Bahn und flücht, flücht...dann haben sie uns mit Leuchtkugeln
beschossen und das war immer sehr dramatisch! Das war richtig Kampf! Oder sie
haben uns nach Konzerten aufgelauert! Da war ein ganz ekliger, fürchterlicher
Typ dabei, das war noch nicht mal ein Skin, sondern ein ganz normaler, aber ein
Nazi, da hatten sie uns mit 10 Leuten in der U-Bahn erwischt, 3 Frauen waren
wir, so, jetzt seid Ihr dran, jetzt machen wir Euch fertig! Da liefen überall
Kameras, deshalb dachten wir, so schlimm kann es nicht werden! Sie haben uns
dann massiv bedroht aber zum Glück kamen die anderen alle noch die Treppe
runter und haben denen ordentlich auf die Fresse gehauen! Und ich habe dann von
den Nazis die Drohung bekommen, dass sie mich umbringen, gerade mich, weil ich
aus Deutschland bin, was mir denn einfällt? Das war ziemlich heftig, wir
mussten immer ganz schön aufpassen! 
Wie
waren denn die Erfahrungen mit der normalen Bevölkerung? Doris: Auch
nicht so toll! Die meisten Leute haben oft gesagt, was wollt denn Ihr hier? Einfach,
wenn man irgendwo langgegangen ist, wir haben gar nicht so viele Faxen gemacht,
ein paar vielleicht schon, aber nicht nur! Manchmal sind wir nur irgendwo langgegangen,
da haben sie gesagt: "Ihr gehört ab ins Lager!" und "vergasen,
aufhängen, abschlachten!" Wenn Du dir immer sowas anhören musst
und Du kannst ja auch nicht mit denen anfangen, zu diskutieren, natürlich
blockst Du dann ab und kriegst nur noch mehr Hass! Dann bist Du wieder
nach Braunschweig gekommen! Warst Du hier in der Punk-Szene auch noch aktiv? Doris:
Ja, war ich noch, dadurch dass mein Bruder hier auch in der Punk-Szene bekannt
war! Im ehemaligen "Nord", das hat dann auf Grund der Punk-Geschichten
den Namen gewechselt, das heisst jetzt "B 58", aber früher liefen
da auch schon Konzerte, TOXOPLASMA, DAILY TERROR haben da gespielt, das war eine
Punk-Hochburg! Wenn ich hier zu Besuch war, waren wir halt im "Nord"!
Der Wolfgang, der später ein sehr guter Freund von mir wurde, hat das übernommen
und umbenannt, damit dieses ganze Punkimage wegkommt! Die haben das renoviert
und es lief kein Punk mehr, ein völlig neues Konzept für das Haus!
Ich habe später in dem Haus jahrelang Theater gespielt und jetzt, das hat
mich sehr gefreut, laufen da wieder Punk-Konzerte! Die Proberäume waren
genau über dem Bühnenraum und da hast Du immer wirklich guten Pogo
gehört! Das hat mich dann sehr gefreut! (lacht!) Ich bin zur Theatergruppe
gekommen, weil ich in dem Haus eine Ausbildung und ein Praktikum gemacht habe!
Dass es das alte "Punk-Nord" war, fand ich wirklich faszinierend! Auch
die Geschichte, dass der Wolfgang sagte: "Ich hab hier erstmal aufgeräumt
mit dem ganzen Scheiss!" Ist der heute noch da? Doris: Nein,
der ist tot! Der ist vor ein paar Jahren gestorben und war eigentlich doch ein
ganz guter! Er hat sehr viel für das Haus gemacht, wollte auch, dass da
Bands proben, dass die Kids autonom sind, die haben im Café alles alleine
gemacht, und verschiedene Gruppen...der hat es eigentlich ganz gut gemacht, aus
meiner Sicht! Du bist also, als Du wieder hier warst, noch auf Konzerte
gegangen! Doris: TOXOPLASMA habe ich gesehen, als ich hier zu Besuch war!
Wenn gerade ein Konzert war, habe ich mich meinem Bruder angeschlossen! Als ich
dann fest wieder zurück nach Braunschweig kam, war hier auch noch mehr los:
Es gab das "Pogo" noch, ich glaube, das heisst jetzt "Brain"!
Im Schlosspark haben sich Punks getroffen, aber irgendwann war's vorbei! Musikmässig
war gar nichts mehr und kurz danach wurde mein erster Sohn geboren und ich habe
gedacht, das tue ich dem Baby nicht an, dass es einen Stempel aufkriegt, und
habe gesagt: "So, jetzt schneide ich mein Leben ab!" Aber ich glaube,
ich habe mich nur äusserlich verändert! (lacht!) `83 bist
Du nach der Ausweisung zurückgekommen und hast Dich dann hier relativ schnell
aus der Punkszene gelöst? Wien war doch etwas anderes! Doris: Ja,
es ist mir auch sehr schwer gefallen! Das war ganz schlimm für mich, denn
meine ganzen Freunde und Freundinnen waren alle in Wien und hier in der Punkszene
kannte ich nur meinen Bruder und meine früheren Freundinnen wollten von
Punk gar nichts wissen (lacht!)! Das war ein echt schwerer Anfang! Da
hatte ich dann auch keinen Bock mehr, weiste, das läuft sich jetzt irgendwie
tot, das war's jetzt! Das ist ganz schön übel, wenn Du 23, 24 bist
und merkst, das lustige Leben ist jetzt vorbei! Ich hatte keinen Bock mehr drauf,
alles nochmal anzufangen! Na ja... Hat Dein Bruder auch in einer Band gespielt? Doris:
Nee, gar nicht! Der war nur so mit dabei, war auch nicht so heftig unterwegs
wie ich! Als er mich mal in Wien besuchte, war er so dermassen schockiert! (lacht!) Er
sagt aber auch, er vergisst es nie! Wir haben da so lustige Sachen erlebt: Wir
haben z.B. ein paar Karlsquell gekauft und haben die nach Wien gebracht und da
war ja gerade dieses Lied "Karlsquell" von SLIME so der Hit! Dann haben
wir gesagt: "Wir haben Karlsquell mit!" "Oh, was kostet denn das?"
Dann haben wir das total teuer verkauft, ich glaub für 5 Mark die Dose!
(wir lachen uns kaputt!)! Der eine Typ, der hiess Sheriff, der sah gar
nicht so punkmässig aus, sondern eher wie ein Rocker mit fetten Ringen und
so, der hat `ne Karlsquell-Dose ausgesoffen, dann hat er das Schild abgeschnitten
und es sich auf die Jacke genietet! Das war typisch Sheriff! Dann gibt es
noch so ein paar Insider-Sachen, ich weiss nicht, ob Du "Mumme" kennst,
ich hab zufällig eine Dose im Kühlschrank, das ist ein uraltes Braunschweiger
Nationalgetränk, das kann man echt nicht trinken! Dann haben wir den Punks
erzählt, dass das ein heftiges Bier ist, das keiner trinken kann! (Das ist
so ein zähflüssiges Zeug, schmeckt zum kotzen, soll aber total gesund
sein! Das haben die früher auf den Segelschiffen gegen Skorbut getrunken!
Das ist gar kein Alkohol! Es wird auch jetzt erst wieder hergestellt, ich musste
es als Kind schon trinken, damit ich Muckies kriege!) Das schafft Ihr nie im
Leben, das können nur Braunschweiger trinken! "Kein Thema!" Die
reissen die Dose auf: "Das schmeckt ja wie Blockmalz!" So Hustenbonbons
in einer blau-weissen Tüte! So schmeckt es auch! Wir immer: "Nein,
das hältst Du nicht aus! Das haut Dich um! Lass es lieber!" Alle -
die ganzen Kids - wollten zeigen wie wild sie sind, haben natürlich weitergetrunken...mein
Bruder und ich haben nur in der Ecke gelegen! Da erzählen wir uns heute
noch von, weil es so schön war! Aber das beste Geschäft haben wir
mit Karlsquell gemacht! Meine nächste Frage, ob Du dich an das Österreichverbot
gehalten hast, hast Du schon beantwortet. Doris: Als ich ausgewiesen wurde,
haben die mich im Zug schon kontrolliert, weil ich noch ein Punk war, und waren
froh, als ich dann weg war! `93 dann mit zwei Kindern, hab nicht mehr so ausgesehen,
aber ich wollte unbedingt mal wieder hin! Es war auch so ein bisschen Trotz,
zu gucken, ob die jetzt wirklich noch was machen! Aber völliger Blödsinn,
das interessierte die gar nicht mehr! An das Österreichverbot habe ich mich
natürlich nicht gehalten! (lacht!) Ausser dass Du 1993 den
Christoph Schreibmüller besucht hast, hattest Du keine Kontakte mehr nach
Wien? Doris: Doch, ein schönes Erlebnis hatte ich da und zwar haben
wir Punks uns früher jeden Samstag, um 1 Uhr, an der U-Bahn-Station Kettenbrückengasse
getroffen und sind übern Flohmarkt gezogen! Ich hab mir dann am Samstag
meine Kids geschnappt und gesagt: "So, ein Uhr, gehen wir auf den Flohmarkt!"
Ich komme da aus der U-Bahn-Station raus und die Leute stehen da noch genau wie
vor 10 Jahren! Auf dem Weg zur U-Bahn kommt mir ein Typ entgegen, auch so'n Freak,
den wir öfter besucht haben, "ja, klar", sagt er, "Doris!"
Ich hab ihn auch gleich wiedererkannt und wir haben uns total gefreut! Dann gehe
ich da hin und Sheriff war da, aber einer hatte den falschen Alkohol getrunken,
war halb blind und manche Leute nur noch halb lebend, aber sie waren alle noch
da! Das fand ich so irre! Dann haben mir der Wahli und noch einer aus der Punkszene
erzählt, was sie so machen, das sie irgendwo in den Bergen mit tausend Kindern
leben, in einer Hütte ohne Strom, und die Männer gehen im Sommer immer
in die Stadt und arbeiten! Die haben da ihre Kräuter und machen ihre Butter
selber, so richtig freakmässig, die haben mich auch eingeladen! "Wir
wohnen im besten Skigebiet!" Aber ich hab es nie geschafft, da mal hinzukommen!
Es hat mich so gefreut, dass es immer noch Menschen gibt, die immer noch so drauf
sind! Die sehen nun etwas anders aus, aber die haben ihr Lebenskonzept nie aufgegeben!
Das finde ich echt irre! (lacht!) Wie siehst Du die Texte von SCHUND
aus der heutigen Sicht? Doris: Na ja, ein bisschen kiddiepunkmässig!
Jetzt, wo ich sie nochmal so gehört habe, denke ich, es ist auch ein Funken
Wahrheit drin, ein ziemlich grosser sogar! Aus der damaligen Sicht heraus, das
alles negativ ist! Das war auch so dieses Spiegelbild, die Leute mochten uns
ja nicht und haben nicht gesagt, "Ihr seht toll, klasse, süss oder
wild aus"! Alles war negativ und das drücken die Texte aus, so war
das damals! Wenn ich mir das jetzt anhöre mit "Ich habe keine Arbeit
und kein Geld und alles ist scheisse", das ist überhaupt nicht mehr
so, ich habe einen super Job, zwei wunderbare Söhne und ich lebe immer noch
mein Leben, also immer noch ziemlich verrückt, jedes Wochenende mindestens
zwei Parties und wenn irgendwo ein Punk-Konzert ist, dann fahren wir dahin, gucken
uns das an und tanzen Pogo! Die Leute, die ich kenne, haben alle Familie und
sind älter und ein bisschen gesetzter, aber trotzdem alle noch so verrückt!
Das ist total schön, dass ich mich nicht angleichen musste! Wenn ich meine
Geschwister angucke oder noch schlimmer meine Eltern, so will ich nie sein -
niemals! Ich will immer noch so autonom mein wildes Leben leben, bis ich umkippe!
Da bin ich mal gespannt, wie es weitergeht? Letzte Frage: Werden wir SCHUND
nochmal live auf der Bühne sehen? Doris: Das ist eine ziemlich heftige
Frage, mit der ich mich auch seit unserem Telefonat auseinandergesetzt habe!
Lars, mein Sohn, sagte gleich: "Mach das, ist doch witzig, wir kommen alle
dahin!" Ich hab mir dann gedacht, aber das isses doch nicht mehr! Muss ich
mich dann verkleiden, wenn ich auf die Bühne gehe? Ich habe aber meine ganzen
alten Sachen noch...oder soll ich dann so sein wie ich jetzt bin, aber das ist
ja dann nicht mehr SCHUND!? Ich weiss auch nicht, ob die Jungs noch Lust haben,
das zu machen? Bobby meinte zu mir, er wäre sofort dabei! Und ich
denke, das Aussehen ist nicht das wichtigste daran! Doris: Das denke ich
auch, das kannst Du auch nicht mehr zurückdrehen! Wenn wir die wirklich
alle nochmal wiederfinden, mit ein bisschen Üben kriegen wir das vielleicht
noch irgendwie hin! So aus Joke, warum nicht?...(lacht!)
HöhNIE   
Zusätzliche
Geschichten, die Doris nach dem eigentlichen Interview erzählte: Chaostage
in Hannover (1984)! Doris: Da war ich mittlerweile hier in Braunschweig
gelandet und dann erzählten die Leute, wir fahren auf die Chaostage nach
Hannover! Ich hatte eigentlich gar keinen Bock mehr darauf, weil so mit Bullen
jagen, das hatte ich irgendwie hinter mir! Der Vater von `ner Freundin wohnte
in Hannover, der hat uns auch eingeladen, mensch, da haben wir wenigstens `ne
Wohnung und können uns auch mal zurückziehen! Ich hab gesagt: "Ich
will da eigentlich nur hin, weil ich hoffe, dass ich Leute aus Wien treffe!"
Dann sind wir da durchgegangen, mir hat die Stimmung überhaupt nicht gefallen,
das war mir echt schon alles viel zu heftig! Ich weiss nur noch, wir sind dann
irgendwie in so einen Bäckerladen rein und haben uns da so ein Törtchen
gekauft, kommen wieder raus und in dem Moment kommen schon so die Bullen da unten
durch die Passerelle und "ich will nur weg hier, ich will das nicht nochmal
mitmachen!" Dann sind wir nur die Treppe hoch, laufen irgendwo lang und
dann kommen auch noch Glatzen hinter uns her! Wir sind wirklich nur noch weggerannt,
in die Wohnung von diesem Vater, Tür zu, so das war's - das waren die Chaostage
für uns! Ich bin der Meinung, dass da auch Leute aus Wien waren, es waren
so viele Punks da, das hat mich sehr gefreut, aber... Der Harald Rau meinte,
jemand aus Wien hätte dich dort gesehen! Kannst Du dich noch erinnern, welche
Wiener Du getroffen hast? Doris: Ich hatte das Gefühl, dass da einer,
der hiess "Eigen" (?) - ich weiss nicht, ob der noch existiert in der
Form - der hatte ganz lange grüne Haare - ich bin der Meinung, dass ich
den gesehen hab, aber das war dann alles so ein Gerangel und tausend Leute und
viele sahen sich irgendwie auch ähnlich von der Aufmachung, und das war
mir einfach zu heftig! Obwohl, ich hätte gerne Leute wiedergetroffen, aber
ich wollte dann hinterher...aber die anderen waren in der Glocksee und haben
sich da noch irgendwie rumgeprügelt... Die Glocksee wurde dann ja
abgeriegelt! Doris: Da war ich echt froh, dass ich da nicht dabei war! Zurück
zu Wien: Du hast mir vor dem Interview erzählt, Du hättest auch als
Komparsin in einem Film mitgespielt! Doris: Das war auch über `ne
Freundin, die hatte Kontakt zu einer Agentur, die immer Komparsen gesucht haben!
Die hatte dann auch gesagt, da könnt Ihr mal hingehen, da gibt es immer
mal einen Filmjob zu machen, irgendwo in der Gegend rumstehen wie man halt war
und dann haben die gesagt, für ein warmes Essen, `ne Schachtel Zigaretten
und zwei Taxifahrten können wir da mitkommen! Das haben wir dann auch oft
gemacht, das waren Spielfilme, der eine hiess irgendwie "Mit beiden Beinen
in den Wolken", den habe ich nie gesehen, da habe ich in der U-Bahn so `ne
Szene gedreht, da musste ich nur mit irgendwem irgendwo langgehen - als Punk
- dann war noch ein Film, den fand ich ziemlich interessant und heftig! Der Christian
Schreibmüller hat das angeleiert, der kannte oder hatte Kontakt zu Doris
Dörrie aufgenommen und noch ein ganz bekannter, da weiss ich nicht mehr
den Namen! Die haben gesagt, wir machen einen Film von der GAGA, bis zur Räumung!
Dieses Foto hier in diesem Buch, da wo ich so an dieser Wand sitze und fotografiert
wurde, da hat er gesagt: "Die kann da mitspielen in dem Film, die war von
Anfang an dabei!" Da habe ich aber gesagt: "Das ist mir zu heftig!
Das kann man nicht in einem Film wiedergeben wie es wirklich war!" Hab mich
aber dann zum Schluss doch noch entschlossen, als Komparsin da mitzumachen! Die
ganzen Punks waren da, das war auch in so einem alten Fabrikgelände am Kanal,
da hatten die ihr Set aufgebaut! Ich weiss noch, ich hab dann `ne Rolle gekriegt
als Vampirbraut, die haben dann so komische Sachen mit eingebaut in dem Film!
Die Hauptdarsteller waren dann doch Profis, erst wollten sie ja einen von uns
nehmen! Dann ging es nur um Versacken, Absacken, Drogen und Depris und diese
ganzen Geschichten! So klischeemässig! Doris: Ja! Dann war
halt auch so `ne Kneipe aufgebaut und ich weiss noch - da sass dann so'n Typ,
der war ganz fürchterlich als Vampir geschminkt, so eklig mit schwarzen
Zähnen - und ich sollte da einfach nur sitzen und dem eine runterhauen!
Dann noch mal eine Szene an der Theke, wo er Blut bestellt und ich sollte das
trinken! Das war Himbeersirup und ich wollte das nicht! Wir waren dann am Schluss
alle so hassig, also die Original GAGA-Leute, dass wir denen das Drehbuch geklaut
haben! Wir haben zu denen gesagt: "Sie sind Arschlöcher!" Der
Konstantin Wecker hat die Musik gemacht, da war so `ne Halle, er sitzt da mit
seinem Piano, macht seine komische Mucke und wir sollten dazu Pogo tanzen! Dann
hatten die da palettenweise Bier, jeder nimmt sich eine Dose, tanzen wild und
schmeissen mit Bierdosen, wir Original GAGA-Leute: "Nee! Du kannst doch
nicht zu so einer Mucke Pogo tanzen! Was soll denn das? Du musst da eine richtige
Band hinstellen!" Nein, nein, das ist schon alles so...Das fanden wir so
unmöglich! So manche fanden das ganz klasse, die Pseudos, die hatten sich
dann nochmal besonders aufgestylt und wollten unbedingt in so einem Film mitspielen!!
Wir anderen haben alle gesagt: "Nicht mit uns!" Ist dieser Film
jemals erschienen? Doris: Ich weiss nicht mal, wie der heisst? Das muss
ja ein ziemlich wichtiger Film sein, es ist ja eigentlich ein Szene-Film! Aber
ich hab den nie gesehen! Den einen, "Carambolage", hab ich mal gesehen
- das weiss ich noch - da musste ich stundenlang auf einer Empore stehen und
in der Mitte war etwas aufgebaut und da agierte die Hauptdarstellerin, das war
im Grunde nur eine ganz kleine Sequenz in dem Film, aber wir mussten einen Tag
in der Kälte stehen! Dann noch die hammergeile Geschichte mit Falco! Doris:
(lacht!): Der hat ja damals bei DRAHDIWABERL mitgemacht! Und wir sind
auch zu den Konzerten hingegangen, weil die auch eine wilde Show gemacht haben! Da
gehen die Punks heute noch hin, wenn die spielen! Doris: Ja, die sind
auch sehr individuell! Und als dann der Falco seine Solokarriere angefangen hat
und seine ersten Platten verkauft hatte, hat er uns alle in ein feines Lokal
eingeladen, in so eine Kellerbar von irgendeinem Hotel und hat uns da einen ausgegeben!
Wir konnten essen und trinken, was wir wollten! Das fand ich auch total angenehm
von diesem Typen, weil, viele haben dann ja auch gesagt, der wird jetzt total
arrogant, jetzt kriegt er die fette Kohle, der wird ein Arschloch! Eigentlich
ist er nur Teil von DRAHDIWABERL und nicht er selber FALCO, was soll das? Das
war wirklich `ne schöne Geste von ihm! Das hat er vielleicht später
nicht mehr gemacht, aber da hat er auch diese Kontakte nicht mehr so gehabt!
Aber am Anfang war er noch in der Szene drin! Wann war das? `83? Doris:
Ja, muss auf jeden Fall vor meiner Ausweisung gewesen sein! So `82/83! Wie
ging die Party ab? Doris: Die war eigentlich ganz zivil, es waren ja auch
die Plattentypen alle da und auch ein paar schicke Menschen! Ich fands halt klasse,
dass wir da ganz normal und irgendwie wichtig eingeladen waren! Es waren nicht
allzu viele Leute da, aber ich glaube Kodak war auch da! Ich kann mich nur noch
erinnern, das war so mit Fliesen ausgelegt und irgendwann schwamm das so mit
Getränken und Essen, da sind immer einige drin ausgerutscht! (lacht!) Aber
es lief keine Punk-Mucke? Doris: Nee, eigentlich mehr so seine Platte!
Ich weiss gar nicht mehr, welche das war! Dann gab es auch noch einen Typen,
der seine Platten rausgebracht hat, Spiegel oder Siegel! Bei dem waren wir auch
öfter im Plattenladen, so ein alter Typ war das damals schon! Terror
+ Mad! Doris: Ist wirklich nur für Insider! Terror + Mad waren zwei
Pseudo-Mädels aus gutem Hause, wie es in dem Lied auch heisst, waren die
total dick! Die haben sich auch so die Haare mit irgendwelchen Sachen hochgesteckt,
waren total cool und haben uns immer eingeladen zu sich nach Hause! Die wohnten
in einer richtig schönen Villa, die Ma hat uns die Tür aufgemacht,
uns nett begrüsst, die hatten ohne Ende Instrumente im Keller! Ja, Ihr könnt
doch mal hier bei uns Musik machen! Die waren halt so ein bisschen einfältig,
aber sie wollten immer mitmischen! Die Mutter hat uns auch immer Schnittchen
gemacht und es war da ganz gemütlich und dann haben wir da ein bisschen
Musik gemacht und so ist dieses Lied entstanden! Sie haben gesagt: "Wir
heissen Terror + Mad!" Und das waren ja nun absolut heftige Namen für
diese beiden Prusseliesen! Der Text geht: "Terror + Mad sind schön
fett und gehen früh ins Bett!" Um acht mussten wir dann immer weggehen,
die haben uns immer schon für nachmittags eingeladen, es hiess, die müssen
für die Schule üben, das waren halt so brave Mädels! Deswegen
ist der Text so und dann geht es darum "Zippy ist ein Hippie, das gibt uns
frohen Mut, das weiss sogar Kaputt"! Kaputt ist halt auch ein Typ, der war
auch nicht so helle und blinkerte immer so mit den Augen! "Mensch, das weiss
sogar Kaputt", das war irgendwann ein geflügeltes Wort! Für Menschen,
die das nicht wissen, ist der Text natürlich irgendwie merkwürdig!
Es handelt auch von der Szene! Ist sehr lustig! Dann "Frag doch Nivea,
was Agfa nicht weiss"! Doris: (lacht!) Das waren auch Mädels!
(Wir lachen uns kaputt!) Die wussten immer alles, das waren die zickigen
Schnepfen, die auch die Intrigen gesponnen haben! Die konnte ich gar nicht so
leiden und deswegen habe ich das da mit eingeflochten! Und wieso "Panza,
der Hund"? Doris: (lacht) Das war doch wegen des Reims! Mir
fällt jetzt auf, Panza kam nicht so gut weg in den Texten, aber das war
kein Hass, das war ein guter Freund, aber der war auch sehr grosszügig,
hat nicht gleich rumgemeckert: "Ich bin doch lieb, was ist mit Euch denn
los?" "Lieblingssport Poppermord"! Popper gab es auch verstärkt
in Wien zu der Zeit!? Doris: Ja, die haben wir immer in den Brunnen geschubst!
(lacht!) Der hiess Donnerbrunnen, in der Nähe von der Pestsäule,
Kärntner Str., der war so ganz flach und mit ganz vielen Figuren ausgearbeitet,
so gewaltige Götter! Da hingen immer die Popper auf'm Rand mit ihren Mopeds
und ihren Kaschmirpullis und wir sind da immer nur lang und zuck-zuck, alle in
den Brunnen rein und die haben sich ja auch nicht gewehrt! Und das waren ja Leute,
die genau das Gegenteil von dem verkörperten, was wir wollten! Sie waren
auch unpolitisch, aber sie waren so materiell eingestellt, und mit ihren blöden
Popperlocken! Ich habe sogar auf meiner Jacke, die zeige ich Dir noch, so einen
Sticker "Popper, nein danke"! Im Grunde waren das harmlose Menschen,
aber sie waren halt so dieses "guck Dir den an, der hat einen ordentlichen
Pullover an, die sind auch gelb und rosa und nicht schwarz, und die Haare sind
ordentlich gepflegt"! Das wollten wir natürlich nicht, sowas konnte
man nur in den Brunnen schubsen! (lacht!) Also gemordet haben wir die
nicht, das wollten wir ja auch nicht! Wir waren eigentlich ziemlich gewaltfrei
und selbst wenn uns Gewalt entgegengebracht wurde, dann haben wir auch nicht
gleich was gemacht! Das lag uns total fern! Wir haben schon mal Quatsch gemacht,
ständig Rolltreppen ausgestellt und auch mal so einen ganzen Karren mit
Müll in die U-Bahn runtergeschleudert, solche Sachen so ein bisschen hassig,
wenn wir mal wieder wild bepöbelt wurden! Die Popper da reinschubsen
war auch nicht schlimm, war ja kein heisses Wasser, die Pullover sind nicht eingelaufen! Und
es war Sommer, ne! Doris: (lacht!)  Download
Zeitungsbericht Kurier vom 22.11.1983 als PDF
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